Der versunkene [Paradies-]Garten in Kleinblittersdorf
Ein Lern- und Erfahrungsort für unser Verhältnis zu unserem Lebensraum, zum kulturellen Erbe und zur Natur
Versunken, poetisch, lebendig, beruhigend, explodierend, erinnernd, lehrend, harmonisierend – so könnte man dieses besondere Refugium in Kleinblittersdorf umschreiben. Die Entstehung dieses Ortes datiert in eine Zeit, in der die Landschaft an der Oberen Saar noch vom Weinbau und vom Zauber einer noch weitgehend unberührten Natur geprägt war. Im Zeitalter der Industrialisierung bebauten u.a. vermögende Familien die begehrte Lage mit Landgütern und aufwendigen Gartenanlagen nebst Weinbergen, die nach den Kriegen fast vollständig verlorengingen. Schließlich wurde der Regionalverband Saarbrücken Eigentümer des Grundstücks mit ruinösen Gebäuden und einer völlig verwilderten Natur, die zunehmend zum Schuttabladeplatz wurde.
In diesem Szenario entwickelte der Regionalverband Saarbrücken 2010 die Idee, das Gelände oberhalb der Rebenstraße in Kleinblittersdorf im Zuge einer beschäftigungspolitischen Maßnahme (AGH-Maßnahme; ehem. Bürgerarbeitsmaßnahme) vor weiterem Zerfall zu retten. Im Rahmen des Projektes wurden auf dem Arbeitsmarkt benachteiligte und beschäftigungssuchende Menschen integriert und sinnvoll qualifiziert. Ziel war es, das gesamte Areal sukzessive gestalterisch und landschaftspflegerisch auf Grundlage einer dafür entwickelten Konzeption in Wert zu setzen und als Schauplatz in überörtliche Wanderwegeverbindungen (Blies-Grenz-Weg und Sternenweg) zu integrieren. Das Gelände bietet eine Rückzugsmöglichkeit für Tiere und Pflanzen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Artenvielfalt.
Erwartungsgemäß war der Prozess aufwendig und langwierig, verfolgte er ja in erster Linie einen sozialen Auftrag. Dennoch konnte über die Jahre die zu Grunde liegende feinsinnige Konzeption der Inwertsetzung zu einem poetischen Ort gewährleistet werden: Die behutsame Freilegung der versunkenen Fragmente eines paradiesisch anmutenden Terrassengartens und der hier ehemals angesiedelten Landgüter, deren Ursprünge bis ins 18. Jh. zurückverfolgt werden können, aber auch die Erforschung und Bewahrung der Fauna haben dem Ort in der Gegenwart einen neuen Zauber geschenkt, der die erhabene Schönheit der Natur zelebriert, die sich immer auch von ihrer widersprüchlichen und wechselhaften Seite zeigt. Menschen sind hier zu einem geheimnisvoll anmutenden Parcours durch das Refugium eingeladen, um dabei der ureigenen Kraft der Natur und ihrer harmonisierenden Wirkung nachzuspüren. Impulsgeber sind verwunschene Reste der historischen Bauwerke, Bäume, Pflanzen, poetische Texte, Installationen und Klänge.
Mit dieser Intention möchte der „versunkene [Paradies-]Garten“ als beispielgebendes Kulturmodell bereitstehen – als offener Experimentierraum, um über das Verhältnis von Mensch und Natur und über den fragilen Zeitenlauf der Welt nachzudenken und eine sinnliche Inspirationsquelle für nachhaltige Lebensformen im UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau zu bieten. Er bleibt solange erhalten, wie sich Menschen weiter um seine Bewahrung und Pflege bemühen!
Das Gelände darf auf eigene Gefahr und nur auf den ausgewiesenen Pfaden betreten werden! Die Gäste sind eingeladen, diesem Ort mit Wertschätzung und Achtung vor der Natur und ihren Geheimnissen zu begegnen!
Nach Abschluss der Maßnahmen wurde nun ein bereits vorliegender Gestattungsvertrag mit der Gemeinde Kleinblittersdorf zur Nutzung eines Teils des Geländes für den Blies-Grenz-Weg mit einem Ergänzungsvertrag erweitert, um eine öffentliche Nutzung zu gewährleisten. Das Refugium bot einen Erholungsraum beim diesjährigen Biosphärenfest in Kleinblittersdorf. Außerdem ist noch ein Bürgerfest vor Ort geplant. Die VHS wird im kommenden Semester auch Führungen mit Lesungen anbieten. Eine Dokumentation und ein Faltblatt zum Projekt sind in Arbeit.
Weitere Informationen
Eigentümer des Grundstücks: Regionalverband Saarbrücken, vertreten durch Regionalverbandsdirektor Peter Gillo
Kooperationspartner: Gemeinde Kleinblittersdorf, vertreten durch Bürgermeister Rainer Lang
Idee / Konzeption und Projektleitung: Peter Michael Lupp, ehemals Kulturreferent des Regionalverbandes Saarbrücken
Träger der Inwertsetzungsmaßnahmen: Regionalverband Saarbrücken mit Unterstützung des Zentrums für Bildung und Beruf Saar gGmbH Burbach (ZBB), vertreten durch den Geschäftsführer Jürgen Quint und Hans Martin Derow
Arbeitsmarktpolitische Förderung: ARGE Saarbrücken
Finanzierung: Neben einer einsatzbezogenen Mittelzuwendung durch den Regionalverband Saarbrücken für die AGH-Maßnahmen wurde das Projekt aus ESF-Bundesmitteln, aus Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit & Soziales, sowie aus Mitteln des saarländischen Wirtschaftsministeriums gefördert
Kurzchronik zur Geschichte
Auf einer historischen Karte aus dem Jahre 1881 sind die bereits damals schon vorhandenen Weinberge südöstlich von Kleinblittersdorf am Rebenberg, unterhalb der Flur „Auf dem Berg“, gekennzeichnet. Wie die Glieder einer Perlenkette reihen sich hier heute noch erkennbar die ehemals großen Weingüter von Kleinblittersdorf aus dem 18. und 19. Jh. hintereinander. Es handelt sich dabei um das ehem. Gut Rexroth (später „Hanns Joachim Haus“), das Gut Pasquay, der Rebenhof und das Landgut Heckel. Die ursprüngliche Entstehung dieser Landgüter (1815–1820) ist auf das Ende der Napoleonischen Kriege zurückzuführen. Zu jener Zeit fielen Teile des heutigen Saarlandes und die ehemaligen lothringischen Dörfer Kleinblittersdorf und Auersmacher beim Friedensschluss an Preußen. Damals wurde der Geisberg von Saarbrücker Familien nach und nach angekauft, gerodet, urbar gemacht und mit Weinreben bepflanzt. Die nebeneinanderliegenden Land- oder Weingüter waren bis zum Anfang des 20. Jh. demnach von Weinbergen umrahmt und lieferten von der Saarachse aus gesehen eine vollständig andere Kulisse, am ehesten vergleichbar mit den Weinbaugebieten an der Mosel. Auch an den gegenüberliegenden Hängen auf heutigem französischem Gebiet waren Weinberge angelegt.
Das Refugium des „versunkenen [Paradies-]Gartens“ gehörte zu einem erheblichen Teil zum ehemaligen Gut Pasquay, das vor dem Deutsch-Französischen Krieg (1870–71) den Saarbrücker Familien Schlachter, Haldy und Quin gehörte. Das oberste Landhaus auf dem Gelände gehörte der Familie Haldy, der Ursprungsbau datiert aus dem Jahre 1773. Überliefert ist, dass diese Wohnung, genannt „die Sorg“, am 10.07.1773 von Herrn von Hausen errichtet wurde, der hier einen Weinberg angelegt hatte. Das dreiteilige Gut wurde 1871 an Herrn Theodor Larmarth aus St. Ingbert veräußert, der es vollständig umbaute und terrassenartige Gärten und Anlagen in das Gelände integrierte. Etwa 1920 wurde die gesamte Anlage an eine Familie namens Pasquay veräußert. Der Besitz der Familie ging später an den Kreis Saarbrücken, den heutigen Regionalverband Saarbrücken, über. Das Landhaus wurde zu Beginn der 1960er Jahre abgerissen.
Anmerkung zur Philosophie des Projektes
Paradies für den einen, Ort der Sehnsucht für den anderen. Der Garten war immer eine Art menschliche Utopie und gleichfalls Ausdruck seiner sinnlichen Beziehung zur Natur. Vor diesem Hintergrund war es unser Anliegen, die besondere Kulturgeschichte, die aussagefähigen baulichen Reste der ehemaligen Landgüter und den wertvollen Baum- und Pflanzenbestand des Grundstückes wieder erkennbar und vor allem sinnlich erfahrbar zu machen. Die Menschen haben sich von dem Ort vor geraumer Zeit zurückgezogen, nachdem sie sich der historischen Bausubstanz bedient hatten. Zurück blieben Ruinen und Müll. Die Natur hat sich das Revier zurückerobert.
Von Anfang an haben wir uns die Frage gestellt, wie wir mit dem kulturellen Erbe umgehen und ob es möglich sein könnte, dieses besondere Areal zu einem Erinnerungsort an der Oberen Saar zu machen. Vor dem Hintergrund, dass das Grundstück in dem UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau liegt, entstand die Idee, den Ort zu einem Lern- und Erfahrungsort zu entwickeln an dem man sowohl Impulse zur Geschichte als auch zum Verhältnis Mensch und Natur erhält.
Die Vision dazu zeichnete sich Rahmen eines mehrjährigen Prozesses ab. Dabei haben wir auf die ablesebare Struktur noch vorhandener Reste der ehemaligen Bebauung und des zugehörigen Gartens zurückgegriffen und versucht mit dieser Kulisse eine Verbindung zum organischen Rhythmus der Natur zu bewirken. Der Schlüssel dazu war der künstlerische Ansatz, der das Refugium als versunkenes Paradies begreift. Seine Botschaften und Geschichte können in der Gegenwart allerdings nur solange wachgehalten werden, wie Menschen ihm den Wert geben und ihn pflegen.
Die ausgewählte Wegeführung führt vorbei an Fragmenten der alten Baukultur, erhaltenen Artefakte und poetischen Texten, die harmonisch in die Natur eingebettet sind und möchte zum Innehalten einladen und gleichfalls Fragen stellen: Wie wollen wir unser Verhältnis zur Natur in der Zukunft gestalten? Wo zeichnen sich Brüche ab, soll es nur bei einer melancholischen Erinnerung an ein verlorenes Paradies bleiben? Kann eine Inwertsetzung und die Poesie den Geist des Ortes konservieren und dem Ort eine zeitgemäße Perspektive sichern? Auch darin zeigt sich der Laborcharakter, der dem Projekt innewohnt und mit dem wir Erfahrungen sammeln wollen wie sich kulturelles Erbe zukunftsfähig gestalten lässt.
Downloads der Texttafeln zum Nachlesen
Portaltafeln
Pflanzenkataster
Symbolik des UNESCO-Biosphärenreservates Bliesgau
Mobile – UNESCO-Biosphärenreservat Bliesgau