Nach oder vor [mir] die Sint­flut?

Frank Steinert
Peter Michael Lupp
DenkBild

Wir entziehen uns und unseren Kindern und Kindeskindern die Lebensgrundlagen in schwindelerregender Geschwindigkeit. Getrieben von Selbstoptimierung und Gier beherrscht die Haltung „Nach mir die Sintflut“ subtil den Geist der Wirtschaftskreisläufe und Wohlstandsgesellschaften. Entwickelt sich diese Einstellung von Lebensgestaltung unreflektiert weiter, sind bis 2030 zwei komplette Erdplaneten nötig, um den Bedarf an Nahrung, Wasser und Energie zu decken. Die Folgen des Raubbaus, die sich aus diesem menschlichen Verhalten ableiten, sind bereits heute spürbar: Hungersnöte, Artensterben oder extreme Wetterkatastrophen nehmen immer mehr dramatischere Ausmaße an. Kriege verbreiten sich. Millionen von Menschen sind auf der Flucht. Insgesamt sind drei der zehn ökologischen Belastungsgrenzen, in deren Rahmen eine Stabilität der Erde und ihrer Lebensräume definiert wird, überschritten: beim Biodiversitätsverlust, dem Klimawandel und dem Stickstoffkreislauf. Der sogenannte ökologische Fußabdruck der Menschen in Deutschland stagniert seit 15 Jahren auf deutlich zu hohem Niveau. Jeder Deutsche verbraucht derzeit pro Jahr mehr als doppelt so viele Ressourcen, wie ihm im globalen Mittel zustehen würden (Auszüge aus dem Living Planet Index).

Vor diesem Szenario und angesichts der Fluten, die der Klimawandel provoziert, bekommt der Mythos der Sintflut eine gegenwartsbezogene Dimension. Hält der Bund?

Angesichts dieser von unreflektiertem Wachstumsdenken und Gier beherrschten Ausgangslage im aktuellen Gefüge des Erdenkreises bekommt die Redewendung „Nach mir die Sintflut“ einen zynischen Beigeschmack. Sind wir darauf vorbereitet, dass vieles dafür spricht, dass eine „Sintflut“ womöglich absehbar vor uns liegt?

Sind wir noch zu retten?

Vom mythischen Weltbild – Arche Noah

… dann sprach Gott zu Noah: Hiermit schließe ich meinen Bund mit Euch und Euern Nachkommen und mit allen Lebewesen bei Euch … die mit Euch aus der Arche gekommen sind … und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und Euch und den lebendigen Wesen bei Euch für alle kommenden Generationen …. Meinen Bogen setze ich in die Wolken: er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde.

Gen 9, 8-13

Die große Flut (Gen 7, 7-8, 4) handelt von einem menschlichen Urerlebnis. Die „Urflut“ ergießt sich über die Schöpfung, da die Gewalttaten des Menschen die Schöpfungsordnung durchbrochen haben. Nach der klärenden Katastrophe stellt sie der Weltenlenker für einen Neubeginn wieder her. Noah und seine Familie sowie die Vertreter der nichtmenschlichen Lebewesen (von jeder Tierart ein Paar) überleben die sühnende Flut in Ihrer Arche, bereit den Bund zu erneuern und mit Gott zu besiegeln. Der sogenannte Sinai-Bund, jener Bund bei dem sich Gott, Mensch und Natur (denn sie ist gleichberechtigter Vertragspartner neben dem Menschen) einander verpflichten, wird reaktiviert… auf unbestimmte Zeit.

Das mythische Weltbild der Sintflut-Erzählung war wohl auch im Kanon der Seelsorge des mittelalterlichen Priorats von Wintringen regelmäßig ein Thema. Darauf reagiert gegenwartsbezogen das DenkBild per annum MMXVIII am KulturOrt Wintringer Kapelle.

Konzeption/Text/Foto: Peter Michael Lupp
Künstlerische Umsetzung der „Arche Noah“ (Blei, Gips, Kalkschlemme): Frank Schneider, Restaurator/Skulpteur, Saarbrücken

Veranstaltungsflyer

Streitfall Sintflut

Denn siehe, ich will eine Sintflut kommen lassen ... Alles auf Erden soll untergehen.

Weltenlenker, Gen 6, 17

Skulptur Arche Noah Skulptur Arche Noah

Topos 1 Nach [mir] die Sintflut

Verkommene Menschheit Ohne Maß erschöpft Von der Gier entfremdet Von entfesselten Meeren verschlungen Abgetrennt vom Bund der Erdenzeit Bleischwer aus dem Netz gefallen In der Untiefe auf Grund gelaufen Versunken im Sand der Meere Alles steht still Untergang Verstellt die Sicht Überschleiert die kosmische Ordnung
Skulptur Arche Noah Skulptur Arche Noah

Topos 2 Vor [mir] die Sintflut

Ein Zögern vor dem letzten Zugriff Hält inne Wer nährt vor der Flut die Weltenraupe für den Wandel? Noch bevor der Bund zerbricht und die Flut die Spuren verwischt? Bezähmte Gier weitet sich aus Will Leben vom Grund heben Demut sprengt den Kokon aus der Enge der mehrenden Hast Schicht nach Schicht hinauf zur Ausschau über sinkenden Fluten Noch beben die Flügel nach den Farben des Bogenschlags Zwischen Himmel und Erde Weite Weile am Rand der neuen Welt