Die Grenzen des Wachstums

Hermann Bigelmayr
Per Annum 2011 Cover

Meine bildhauerische Arbeit basiert auf der Erkenntnis, dass eine gesellschaftspolitische Grundeinstellung, die auf stetiges Wachstum ausgerichtet ist, letztlich für uns alle schädlich ist. Eine grundlegende Neueinordnung der elementaren Werte der Natur ist unausweichlich. Im übertragenen Sinne verstehe ich den inmitten eines Biosphärenreservates liegenden KulturOrt Wintringer Kapelle als Labor, in dem ich mit meiner Kunst experimentiere, um ein neues – ökologisch ausgerichtetes – Denken zu entfachen.

Hermann Bigelmayr, 2011

Der Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ ist kein Werk der Verzweiflung, sondern vielmehr ein Beitrag zur Krisenvermeidung. Sie beinhalten wichtige Ansätze, die einen friedvollen, fairen und nachhaltigen Wandel zu einer globalen Gesellschaft ermöglichen. Meiner Meinung nach muss dieser Wandel das ultimative Ziel sein.

Unsere Vision liegt im Aufbau einer globalen Gemeinschaft, deren Fundamente auf Werten gründen, die seit Menschengedenken Teil unseres kollektiven Bewusstseins sind, die unser Überleben gesichert und sich stets bewährt haben: Achtung vor dem Leben, Verantwortung für künftige Generationen, Schutz des menschlichen Lebensraums, Altruismus, genährt aus auf Gegenseitigkeit beruhendem Interesse, Wertschätzung der Würde des Menschen...

Prinz El Hassan Bin Talal/ Präsident des Club of Rome/ Amman, Jordanien im Juni 2006

Quelle: Donella, Dennis Meadows, Jørgen Randers, Grenzen des Wachstums Das 30-Jahre-Update, 3. Auflage 2009
Ausstellung in der Wintringer Kapelle
Die Grenzen des Wachstums

Der süddeutsche Bildhauer Hermann Bigelmayr ist 2010 der Einladung gefolgt, eine künstlerische Arbeit für den KulturOrt Wintringer Kapelle auf dem Wintringer Hof zu entwickeln. Wesentliche Impulsgeber des künstlerischen Schaffens des Bildhauers Hermann Bigelmayr sind seit längerer Zeit die seit 1969 herausgegebenen und in einem Zeitraum von 30 Jahren immer wieder aktualisierten Berichte des „Club of Rome“ zur Lage der Menschheit. Sie tragen den Übertitel „Die Grenzen des Wachstums/The Limits to Growth“. Zu den federführenden Autoren gehören die Wissenschaftler Donella (2001) und Dennis Meadows.

Der 1968 gegründete „Club of Rome“ verkörpert eine nicht kommerzielle Organisation aus etwa 51 auserwählten Experten aus den Bereichen der Ökonomie, der Wissenschaft, der Politik und des Öffentlichen Lebens. Sie agieren interdisziplinär und überpolitisch mit dem Ziel, das Bewusstsein für zentrale, globale Themen und deren Zusammenhänge zu schärfen, um die davon ausgehenden globalen Bedrohungen für die Menschheit, insbesondere bei den Entscheidungsträgern der Politik, bewusst zu machen. Die Autoren der Berichte, die weltweit in 37 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft wurden, zeigen unermüdlich auf, dass die Belastungsgrenzen dieses Planeten, wo immer diese liegen mögen, durch exponentielles Wachstum sehr schnell erreicht sind, ja zum Teil bereits überschritten sind! Mit dem Erreichen oder gar Überschreitung der Wachstumsgrenzen drohen die überlebensnotwendigen Systeme der Erde aus dem Gleichgewicht zu geraten und zu kollabieren.

Die Grenzen des Wachstums

Biosphärenreservat Bliesgau – Lebensraum bewahren

Insbesondere Modellregionen, z.B. Biosphärenreservate, haben in einem weltweiten Netz die Chance aber auch die Verantwortung mit ihren individuellen Ressourcen, Lösungsmöglichkeiten in kreativen Prozessen zu entwickeln und in den Weltenkontext einzuspeisen. Vor diesem Hintergrund entstand die bildhauerische Arbeit von Hermann Bigelmayr eigens für den Ort und seine Verantwortung als eine der „Modellwerkstätten“ im Biosphärenreservat Bliesgau. Sie wird über eine Zeitspanne von zwei Jahren im Spiegel eines themenspezifischen öffentlichen Diskurses vervollständigt. Zum Abschluss ist eine zusammenfassende Publikation geplant.

Der KulturOrt Wintringer Kapelle wird somit erstmals auf die Frage, wie man Lebensräume nachhaltig bewahren kann, künstlerisch reagieren und die Impulse nutzen, um Fragen zu stellen und über Lösungen nachzudenken.

Die Grenzen des Wachstums

Es ist der Weg des Menschen, ein Weg durch die geistige Mitte der Menschheit, eine tief empfundene Überzeugung, die letztendlich die einzige Chance in sich trägt, einen mittlerweile absehbaren Zusammenbruch überlebensnotwendiger Systeme zu verhindern. Dies ist die zentrale Botschaft meines Werkes.

Hermann Bigelmayr

Das Werk

Die Installation des Bildhauers Hermann Bigelmayr zitiert am KulturOrt Wintringer Kapelle unter dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ einen scheinbar durch den Boden der Kapelle gewachsenen, überdimensionalen Weizenhalm, der bis in das ehemalige Gewölbe der spätgotischen Kapelle ungebremst gewachsen ist und dort in ca. neun Meter Höhe abgebrochen ist. Die Konstruktion dieses Weizenhalmes besteht aus ursprünglich vier Ahornstämmen, die der Künstler filigran herausgeschnitzt hat. Bigelmayr hat dazu zunächst ein Modell im Maßstab 1:20 entwickelt, um hier bereits die Statik zu berechnen. Das Tragwerk des gebrochen Halmes, sein Blatt, von dem ebenfalls ein Stück abgebrochen ist, sowie ein letztes, am Boden liegendes übergroßes Weizenkorn samt Spreu postulieren die fatalen Folgen einer gesellschaftspolitischen Grundeinstellung, die auf stetiges Wachstum ausgerichtet ist.

Die Grenzen des Wachstums

Am Ausgang der Kapelle verweist ein einziges Weizenkorn auf einem Quadrat eines „Schachbretts“ auf eine alte Überlieferung, welche die Gefahr eines exponentiellen Wachstums verdeutlicht… Gleichfalls wirbt die Installation für eine völlig andere Bewertung der Natur, die nicht bloß beherrschbare Materie ist, sondern ein eigenständiges, lebendiges System, in das der Mensch als Teil dessen eingebunden ist. In diesem Sinne möchte Bigelmayr mit der thematischen Verankerung des Weizens auch die beispielgebende ökologische Landwirtschaft des Wintringer Hofes hervorheben, die in einem sozialen und ökologischen Betriebssystem ökonomische Vorteile aufzeigt und zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt beiträgt. Letztlich entfacht der Halm auch einen Dialog mit dem eingestürzten gotischen Gewölbe der alten Prioratkirche. Im Wesen verwandt mit dem „gebrochenen“ Weizenhalm, ist das alte Gewölbe nur noch an den Resten der tragenden Wandsäulen bzw. Schildbögen, die ursprünglich die Kreuzrippen gebündelt haben, erahnbar.

Jeder Tag weiterbestehenden exponentiellen Wachstums treibt das Weltsystem näher an die Grenzen des Wachstums. Wenn man sich entscheidet, nichts zu tun, entscheidet man sich in Wirklichkeit, die Gefahren des Zusammenbruchs zu vergrößern.

Dennis L. Meadows

Quelle: Die Grenzen des Wachstums, 1972

Bildsprache

Hermann Bigelmayrs künstlerische Ideen kommen aus der Mitte seines Seins. Sie sind auch Ausdruck seiner tiefen Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Lebens und was es ausmacht, diesem Planeten in der Zukunft eine Chance zu geben. Offensichtlich ist, dass der Künstler bei seinen zumeist überhöhten Arbeiten spätestens auf den zweiten Blick Verdrängtes sichtbar machen möchte. Er bringt die Betrachter zum Ruhigwerden, zum Aufsehen, zum Hinsehen, zum Ertasten seiner Botschaften. Indem er überhöhte Zeichen setzt, möchte er dem Betrachter Brücken bauen, für sich selbst Position zu beziehen und dann auch selbst zu handeln.

Für seine Installation am KulturOrt Wintringer Kapelle hat Hermann Bigelmayr Monate in seinem riesigen Atelier, einer ehemaligen Scheune eines alten Bauernhauses in der Nähe von Ulm, verbracht: Stunden, Tage, Wochen. Überschattet von der Katastrophe in Japan „kämpfte“ Hermann Bigelmayr vor Ort mit dem Selbstverständnis seiner künstlerischen Position und seinem aktuellen Werk für die saarländische Kapelle… In diesem Prozess entpuppte sich aus den Ahornstämmen der Weizenhalm – fragil, überdimensioniert, zerbrechlich.

So wirkt der Halm zunächst in fast tänzerischer Ästhetik im Dialog mit der noch erkennbaren mittelalterlichen Baukonstruktion und dem Licht der Kapelle; bereits im nächsten Atemzug erscheint er anstrengend und herausfordernd, wie ein Mahnmal, provokativ und heilsam zugleich. Hermann Bigelmayr folgt kompromisslos seinem künstlerischen Gewissen, er führt mit seiner Holzplastik jeden aufmerksamen Betrachter letztendlich zur Frage nach der Zukunft dieses Planeten, nach der menschlichen Existenz und schließlich zur Frage nach sich selbst.

Der Künstler

Hermann Bigelmayr

Hermann Bigelmayr ist klassisch ausgebildeter Holzbildhauer. Nach eigenen Worten hat er eine große Affinität für das Werk des spätgotischen Bildhauers Tilman Riemenschneider, in dessen Formensprache er bereits in frühen Jahren gearbeitet hat. International bekannt geworden ist er durch seine aufsehenerregenden, umweltpolitischen Projekte mit Großplastiken im öffentlichen Raum. Hervorzuheben ist eine Großplastik, die Bigelmayr 1992 als Preisträger eines internationalen Wettbewerbes vor dem GSF (Institut für Umwelt und Gesundheit) in Neuherberg bei München realisierte. Dieses Denkmal für einen Halm trägt ebenfalls den Titel „Die Grenzen des Wachstums“ und legt die Spur seiner künstlerischen Intention, die nun am KulturOrt Wintringer Kapelle erneut aufkeimt und ihren Dialog sucht. Aus massiven Eichen, die 1990 beim Orkan Wiebke entwurzelt wurden, fertigte Bigelmayr eine 30 Meter lange Plastik. Sie zeigt einen auf den Boden gedrückten Weizenhalm, der die Natur als fragiles System offenbart, das unter dem hemmungslosen Wachstumsstreben des Menschen zusammenbricht. Ein zum Himmel aufsprießender Halm zitiert die Lebenskraft der Natur, die jedoch nur mit behutsamer Pflege durch die Menschen eine Zukunft hat…

Großplastik: Auf den Boden gedrückter Weizenhalm aus Eichenholz
2010Seerosenpreis der Landeshauptstadt München
2010Lehrauftrag Hochschule München, Fachbereich Architektur
2004-2008Dozent an der Sommerakademie in Neuburg/Donau
2001–02Lehrauftrag an der Fachhochschule München, Fachbereich Architektur
1998Pasinger Kunstpreis
1997Workshop am Sculpture Project Bagamoyo in Tansania, Goethe Institut, Dar es Salaam
1993/07Projektförderung der Bayerischen Staatsregierung für eine Skulptur im öffentlichen Raum
1988–90Assistent an der Kunstakademie in München bei Prof. Hans Ladner
1988Förderpreis der Bayerischen Staatsregierung
1984Förderpreis der Stadt München
1984–85Auslandsstipendium der Studienstiftung in Florenz
1982–83Stipendium für ein Jahr des DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst in Paris
1982„Debutanten-Preis“ der Bayerischen Staatsregierung
1980Studienstiftung des deutschen Volkes
1976–82Studium an der Kunstakademie in München/ Meisterschüler bei Prof. Ladner/Diplom
1958geboren in Jettingen
www.hermannbigelmayr.de

Mit SKULPTUREN IM ÖFFENTLICHEN RAUM fasst der Bildhauer Hermann Bigelmayr beinahe 20 Jahre seines Schaffens von Großplastiken im Außenraum zusammen.

Schon früh fand Hermann Bigelmayr das ihm ureigenste Material, seiner künstlerischen Intention die angemessene Ausdrucksform zu verleihen: Eichenholz. Mag er angeregt gewesen sein durch Orkan Wiebke, der 1990 selbst massive Eichenstämme hinwegfegte, oder nachdenklich geworden durch den Umweltbericht des „Club of Rome“ über die „Grenzen des Wachstums“.

Hermann Bigelmayr schafft mit seinen massiven Skulpturen aus Eiche eine beinahe zwingende Auseinandersetzung mit der Umwelt. Auf den räumlichen Kontext seiner Arbeiten legt Hermann Bigelmayr großen Wert, erforscht Aufgabe und Inhalt des Ortes, begibt sich auf historische Spurensuche, untersucht das verbaute Material der umgebenden Architektur. Der umgebende Raum wird in die Skulptur aufgenommen, tritt durch die wechselseitig formulierte Wirkung in das Bewusstsein des Betrachters.

Anette Frankenberger, München

Ein einziges Weizenkorn

Ein einziges Weizenkorn

... Jeder Tag weiterbestehenden exponentiellen Wachstums treibt das Weltsystem näher an die Grenzen des Wachstums. Wenn man sich entscheidet, nichts zu tun, entscheidet man sich in Wirklichkeit, die Gefahren des Zusammenbruchs zu vergrößern ...

Die Gefahr exponentiellen Wachstums

Den meisten Menschen erscheint Wachstum als linearer Vorgang. Lineares Wachstum liegt vor, wenn eine Größe jeweils in gleichen Zeiten um einen ständig gleichbleibenden Betrag zunimmt. Beim exponentiellen Wachstum nimmt dagegen die Größe in jeweils gleichen Zeiträumen um einen bestimmten Prozentsatz der jeweils vorigen Größe zu. Exponentielles Wachstum dieser Art ist eine übliche Erscheinung in der Biologie, im Finanzwesen und sehr vielen anderen Systemen. Exponentielles Wachstum ist trügerisch, weil schon bei relativ geringen Wachstumsraten in kurzer Zeit astronomische Zahlen erreicht werden. Unkontrolliertes, exponentielles Wachstum hat die Menschheit in die Krise geführt, sie steht an der Grenze ihrer irdischen Existenzmöglich­keiten.

Es gibt die alte Sage von dem Höfling, der seinem König ein kunstvolles Schachbrett schenkte und als Lohn dafür nur ein einziges Getreidekorn für das erste Feld und für jedes folgende Feld die doppelte Kornzahl wie für das vorhergehende demütig erbat, also für das zweite Feld zwei Körner, für das dritte vier, für das vierte acht Körner. Das entspricht einer exponentiellen Zunahme mit einer Wachstumsrate von einhundert Prozent; auf das zehnte Feld entfallen erst 512 Körner, aber auf das 21. über eine Million Körner. Es gibt gar nicht so viele Getreidekörner auf der Erde, wie für das 64. Feld bezahlt werden müssten.

Quelle (Auszug): Dennis Meadows, Donella Meadows, Erich Zahn, Peter Milling, Die Grenzen des Wachstums/The Limits to Growth, Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, 1972
Installation des Werkes Hermann Bigelmayr und Peter Lupp