Stationen des Lebens
Andreas KuhnleinDie Zusammenkunft mit alten Pilgerstätten, wie dieser ehemaligen Prioratskirche in Wintringen hat für mich etwas Geheimnisvolles. Mein Skulpturenzyklus, den ich für diesen Ort geschaffen habe, ist geprägt von der Anstrengung etwas zur Sprache zu bringen, was nur im Zusammenspiel mit den Themen dieses Ortes entstehen konnte.
Andreas Kuhnlein
Filmcollage zur Ausstellung
Annäherung
Andreas Kuhnlein ist der Einladung, den KulturOrt Wintringer Kapelle zu besuchen im Spätsommer 2009 gefolgt. Der Bildhauer war zu Gast, um zu erspüren, ob er mit seiner Kunst auf den Ort und seine Impulse reagieren kann. Er war eingeladen für per annum MMX mit seiner Begabung ein Werk zu schaffen, dem es gelingen sollte eine produktive Spannung und für die Betrachter des Jahreszyklus, spirituelle und ästhetische Sinnzusammenhänge hervorzurufen. Sozusagen das Zukünftige, Zurückliegende und Umliegende auszuloten und zu erfassen, um es am Ende in seiner Kunst wieder zusammenzuführen.
Den Figurenzyklus „Stationen des Lebens“, den er in den folgenden Monaten, eigens für den Ort im Rahmen von per annum MMX geschaffen hat, nimmt Bezug auf die zeitübergreifende Wirkung von Orten, die für Menschen in unterschiedlicher Intensität, als Orte der Sehnsucht, als heilige Orte, als Pilgerorte begriffen werden.
Die Werkgruppe umfasst vier Kopffiguren (Kindheit I Jugend I Erwachsensein I Alter), eine lebensgroße Pilgerin und einen Christuskopf. Die Positionen der einzelnen Holzskulpturen folgen der, von Kuhnlein definierten imaginären Bewegungslinie, bei der Erschließung eines (Lebens)raumes: Annäherung, Ankommen, Sichtwechsel, Innehalten, Erkenntnis, Aufbruch. Auf dieser Bewegungslinie führt eine Frau, eine Pilgerin, durch das figürliche Programm.
Bildsprache
Der unnachahmliche Ausdruck, mit dem sich die Werkgruppe „Stationen des Lebens“ in der Wintringer Kapelle präsentiert, geht weit über das bloße Abbilden von menschlichen Haltungen hinaus. Andreas Kuhnlein zählt zu den bedeutendsten deutschen Bildhauern der Gegenwart.
Bereits die kleine Kostprobe seines künstlerischen Schaffens für den KulturOrt Wintringer Kapelle unterstreicht seine außergewöhnliche Fähigkeit in der holzbildnerischen Interpretation der jeweiligen Figur ein Mehr an Wirklichkeit und Gegenwart sowie eine entschlüsselbare Botschaft für den Betrachter hervorzurufen. Je nach Blickwinkel setzten die vordergründig zerfurchten Erscheinungen immer neue und unvorhersehbar feine und tiefsinnige Ausdrucksformen menschlicher Wesenszüge frei.
Die außergewöhnliche Bildsprache von Andreas Kuhnlein ist zweifelsohne geprägt durch das Umfeld, in dem der Bildhauer herangewachsen ist und heute noch lebt und arbeitet. Das bäuerliche Umfeld, die Bergwelt des bayrischen Chiemgaus, die allgegenwärtige Natur, insbesondere die Welt der Bäume, sind es, die sich in seinem bildhauerischen Werk ihren Ausdruck verschafft. Die Bäume, immer durch Naturgewalt zum Sterben gebracht, liefern dem Künstler eine für ihn dechiffrierbare Botschaft, die sich durch seine Begabung mittels Motorsäge und Stechbeitel zu Menschenbildern herausschälen.
Gedanken zu den Arbeiten von Andreas Kuhnlein
Der Philosoph sieht mit einer Mischung aus Neid und schlechtem Gewissen auf die Wiederkehr der Bilder im Kontext menschlich verständlicher Sinnfragen. Seit die Philosophie in die Krise geraten ist – weil sie sich in postmoderner Offenheit die Fragen nach Wahrheit und Glück nicht mehr mit Sicherheit zu beantworten traut – hat die bildende Kunst eine Lücke für Sinnstiftung genutzt. Weil in postmoderner Medienbeliebigkeit die Möglichkeiten des Bildes betörend sinnzerstörend und manipuliert suggestiv eingesetzt werden, könnten Bilder, die desillusionieren und Sinn stiften, Mut machen. Nicht nur der Philosoph, sondern jeder, der an einem in Wahrheit gelungenen Leben interessiert ist, wird in expressiver Weise ins Bild gezogen. Der Künstler organisiert kein blasses Vorstellungsbild, er schneidet eine Matrix, in der Zukunftsperspektiven sich andeuten.
Prof. Dr. Alexius J. Bucher (Auszug aus dem Text „Menschenenbilder | Sinnstiftend“)
Die Dramatik und die Ausdruckskraft, die von jeher innig mit der bildenden Kunst verbunden sind, erreichen im Werk von Andreas Kuhnlein einen neuen und zeitgenössischen Höhepunkt...
Wim van der Beek, Kunstkritiker, Holland, 2002
Andreas Kuhnlein fordert sein Publikum mit Nachdruck auf zur Reflektion seiner irdischen Existenz. Seine Baumkunst mit ihren zerklüfteten Protagonisten in existentiellen Situationen ist so elegisch wie narrativ, so verschwiegen wie beredt und gehört in den Kreis gewichtiger Skulptur des 20. Jahrhunderts...
Dorothee Baer-Bogenschütz, Kunstjournalistin, 2003
Kurzvita
Andreas Kuhnlein, Bildhauer
Andreas Kuhnlein, geboren 1953 im bayerischen Chiemgau, betrachtet den Baum als wesenhafte Erscheinung und Synonym für den Menschen. Harthölzern von toten und entwurzelten Bäumen entlockt er ein Menschenbild, das geprägt ist von Verletzlichkeit und Vergänglichkeit. Ein Baum mit seinen Jahresringen, weiß Kuhnlein, trägt die verflossene Zeit ebenso in sich, wie ein menschliches Antlitz.
In über 140 Einzelausstellungen sowie mehr als 120 Ausstellungsbeteiligungen in 15 Ländern waren seine Werke bisher zu sehen. Künstlerische Begleitungen von Europarat- und Landesausstellungen wurden ihm ebenfalls zuteil. Zahlreiche seiner Skulpturen befinden sich im öffentlichen Raum u.a. im Bayerischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, dem Berliner Stadtmuseum, der Dresdener Kathedrale, dem Skulpturenmuseum Den Haag, dem Kulturpark Teachong Lake/
2005 wurde Kuhnlein eine Professur an der Kunstakademie in Luoyang/