3. Menschliches Maß
Entsprechend der Teilung in Oben und Unten unterlagen alle Erscheinungen der polaren, trennenden Kraft der Gegensätze: Gut und Böse, Licht und Schatten, Tugend und Sünde. Die Allegorien der Todsünden stellten mahnend den negativen Pol dar, der Engel das positive Gegenbild, das für den Menschen unerreichbar blieb.
Dieses vormoderne Deutungsschema durchbrach Dimitrov in seinen linearen Bildsäulen, indem er das Oben und Unten durch einen graduellen Verlauf einer allmählichen Höherentwicklung verband. Er definierte Polarität neu als Extrempunkte, zwischen denen sich der Mensch, aber auch der Engel in seiner Individualität bewegt. Die Farbgebung spiegelt diese Bewegung zwischen Hell und Dunkel.
4. Sünde als innere Dynamik
In den letzten Bildzyklen löst Dimitrov das von ihm geschaffene Wintringer System systematisch auf. Konstant bleibt nur das außergewöhnliche Säulenformat als Sinnbild des polaren Weges und seiner Möglichkeit, sich auf das helle, göttliche Prinzip hin zu entwickeln.
Die Starre der alten Ordnung wird aufgegeben und alle acht Themen in ein einziges Bild integriert. Alle Facetten der Psyche wirken zusammen im Wesen des Menschen, Gut und Böse sind keine unbeherrschbaren, schicksalsgegebenen Kräfte, sondern unterliegen seinem Willen und der Formbarkeit.
Die letzte Interpretation symbolisiert den modernen Menschen als eine vielschichtige Persönlichkeit mit einem verinnerlichten Wertesystem, das aufbaut auf dem tradierten Kanon.
Die Veränderung des "Wintringer Symbol-Systems" spiegelt daher den komplexen Wertewandel und die Entfaltung der Individualität. Die Todsünden-Bilder haben sich entfernt von der Statik und weltabgewandten Innerlichkeit des mittelalterlichen KulturOrtes, von der sie ihren Ausgang nahmen. |